Donnerstag, 12. September 2019

Nachlese Vertriebsleitertagung Energie 2019

An der fünften Jahrestagung trafen sich Energiefachleute und Experten aus dem Bereich Vertrieb, um die Themen Liberalisierung, Vertriebsstrategien, Kooperationen und Digitale Plattformen zu diskutieren.

Der erste Tag der Vertriebsleitertagung widmete sich dem Spannungsfeld von freiem Markt, Regulierung, Vertrieb und Netz. Eingeleitet wurde mit einer spannenden Keynote von Prof. Dr. Peter Hettich (HSG). Er berichtete über die Entwicklung der Rahmenbedingungen im Energiesektor. So wurde deutlich, dass sich nicht nur beim Stromabkommen beide Seiten bewegen müssen. Er sagte, die Schweiz kenne kein Subventions- und Beihilferecht. Eine Umsetzung missachte sie seit 1972. Auch müsse die Sicherung der Grundversorgung im freien Markt immer gewährleistet sein, so Hettich. Dies sei der wichtigste Diskussionspunkt bei einer Marktöffnung.


Anschliessend erklärte Dr. Matthias Galus (BFE), was die «Strategie Digitale Schweiz» für die Energiewirtschaft bedeutet und gab tiefere Einblicke in das Dialogpapier «Digitalisierung im Energiesektor». Er appellierte für eine schnellere und breitere Umsetzung von Digitalisierungsinitiativen. Heute sei die Schweiz zwar führend in Forschung & Entwicklung bei Digitalisierung, aber es bestehe Aufholbedarf bei der Umsetzung und dem «Export». Georg Meier (Energie Zukunft Schweiz) setzte hier an und gab einen aufschlussreichen Einblick in die Welt der Energiemanagement Systeme und was mit deren Einsatz heute schon möglich ist.

Themenverwandt berichtete danach Hans-Joachim Demmel (BKW) aus der Praxis beim Vertrieb von Energiedienstleistungen. Dabei wurde deutlich, dass sich Privatkunden mittlerweile sehr stark für Kima, Umwelt und Energiesparen interessieren, dies jedoch ein kleinteiliges und dünnmargiges Geschäft sei. Am nahesten läge der Einstieg in die Kundenbeziehung mittels PV und werde sich mit der Verknüpfung von Wärmeversorgung, Elektromobilität sowie Hochbau fortsetzen. Jan Lengerke (Greencom Networks) zeigte anschliessend auf, wie die Energiewirtschaft mit «Decentral Energy Resources Management» bereits heute und vor allem in der Zukunft Wert schöpfen kann.


Am Nachmittag wurden die Themen noch konkreter Richtung Vertriebsstrategien, Positionierung und Branding (nicht nur) für die Marktöffnung vertieft. Eingeleitet hat dazu Thomas Städeli (Wirz) mit interessanten Einblicken zu «Marken im Strommarkt». So zeigte er auf, dass nur etwa die Hälfte der Kunden überhaupt wissen, wer ihr Stromanbieter ist und wieso das so ist. Er schlug dann die Brücke zur Bedeutung von Marken im Zusammenhang mit der Strommarktliberalisierung. Diese solle sich um die Festlegung in den Themenfeldern Strom vs. Energie sowie Heimmarkt vs. Ganze Schweiz drehen. Abgerundet hat das Themenspektrum Bernhard Signer (Repower), der eine informative Übersicht zur Geschichte der Repower, den Veränderungen im Markt und daraus abgeleiteten Erkenntnisse , Massnahmen und Resultaten gab.

Das Thema «Strategien für die (Nicht-)Marktöffnung» wurde auf dem Podium diskutiert. Die Vertreter Hans-Jörg Aebli (EKZ), Jan Flückiger (Swisspower) und Bernhard Signer (Repower) mit Moderation durch Jens Bartenschlager (Fidectus) diskutierten ihre Ansätze und Erfahrungen zur Marktöffnung bei so vielen Jahren der Verzögerung. Man müsse in jedem fall auf die Marktöffnung vorbereitet sein. Abschliessend fragte der Moderator Jens Bartenschlager die Podiumsgäste, ob denn die Marktöffnung für Strom oder Gas zuerst umgesetzt werden würde? Die Meinungen gingen hierbei auseinander. "Keines von beiden", sagte Aebli. Flückiger glaubt wiederum, die Teilmarktöffnung beim Gas komme zuerst. Und Signer erwiderte: «Ich glaube, beides zusammen.»

Der Zweite Tag beleuchtete die Zusammenarbeit in Form von Kooperationen und Experten teilten ihre Erfahrungen mit digitalen Plattformen.
Jens Bartenschlager (Fidectus) erläuterte das Fundament von Kooperationen und zeigte das Spannungsfeld zwischen Partnerschaft und Konkurrenz auf. Nicht zuletzt werden aktuell Kooperationen für den Erhalt der Selbständigkeit und ebenso für die Einführung von Standards (zu gemeinsamen und konkurrierenden Marktaktivitäten) eingegangen.  

Samuel Bontadelli (Repower) gab mit seiner offenen und zum Teil selbstkritischen Analyse „seiner“ Kooperation mit Tiko (Swisscom) ein eindrückliches Beispiel einer branchenfremden Zusammenarbeit. Insbesondere die gemeinsam definierten Ziele sowie die Komplementarität der Kompetenzen funktionierten in der ersten Phase hervorragend. In diesem Frühjahr kam Engie als neuer Hauptaktionär mit der nötigen internationalen Vertriebspower dazu. Cédric Chistmann (Primeo Energie) strebt mit der enersuisse als Joint Venture der drei Partner EKZ, Romande Energie und Primeo Energie, die Kostenführerschaft im Verrechnungsprozess an. Die Gründergesellschafter haben grosse Ambitionen für weiteres Wachstum und sind offen für neue Partner im zunehmend kompetitiven Markt der Verrechnung.  Der grosse Zukunftstrend der Kooperationen im Energiesektor wurde auf dem Podium weiter analysiert.
eindrückliches Beispiel für eine  Zusammenarbeit mit einem branchenfremden Partner (Swisscom). Insbesondere die gemeinsam definierten Ziele sowie die Komplementarität der Kompetenzen funktionierte in der ersten Phase hervorragend. In diesem Frühjahr kam Engie als neuer Hauptaktionär mit der nötigen internationalen Vertriebspower dazu.

Die Vertreter Cédric Christmann (Primeo Energie), Clemens Hagg (Helion), Jean-Marc Schreiber (SWiBi), Nicolas Thévoz (cc energie) mit Moderation durch Georg Meier (Energie Zukunft Schweiz), diskutierten ihre strategischen Ansätze, Alternativen, Treiber und Notwendigkeiten von Partnerschaften in der Energiezukunft. „Coopetition“, die Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern in einzelnen Bereichen, wird im reifer werdenden Markt künftig zur Normalität.

Den Nachmittag prägten wie immer die Startups mit Praxisbeispielen: Pascal Kienast (CLEMAP) liefert mit seinen Produkten eine Lastaufschlüsselung («NILM») für neue Geschäftsmodelle wie z.B. detaillierte Analysen für (digitale) Energieberatung, Transparenz in Stromverbrauch und -Kosten einzelner Geräte und somit einen wertvollen Beitrag zur Energieeffizienz. Jan Marckhoff (BEN Energy) lieferte das zweite Beispiel für die «Erlebbarmachung» von Energie und beschäftigt sich mit Smart Meter Analytics durch maschinelles Lernen. Den Anwendungsfällen sind kaum Grenzen gesetzt. So können im Verteilnetz frühzeitig Defekte erkannt, Verbraucher identifiziert oder Kunden profiliert und segmentiert werden. Letzteres natürlich mit dem expliziten Einverständnis der Kunden vorausgesetzt. Abgerundet wurde die Jahrestagung durch Gerrit Hellwig (DEC) mit der Aufforderung durch digitalisierte neue Ansätze selber in neue Branchen zu expandieren und Disruption als Chance aktiv voranzutreiben.

Die Vertriebsleitertagung 2019 lieferte einen tiefen Einblick in die sich verändernde Energiewirtschaft der Schweiz. Die vorgestellten Handlungsoptionen stellen dabei eine hervorragende Inspirationsquelle für neue, nachhaltige Geschäftsmodelle dar, um sich im zukünftigen Energiemarkt zu behaupten. Die Moderation von Dr. Jens Bartenschlager und Georg Meier hat den hochkarätigen Beiträgen und Diskussionsrunden einen optimalen Rahmen gegeben. Nicht zuletzt die produktiven Diskussionen und das ausgezeichnete Networking sowie die sehr gute Stimmung aller Teilnehmenden und Referenten rundeten den Erfolg der Tagung ab.

Freitag, 6. September 2019

Die Hoffnung auf die Strommarktliberalisierung ist klein


















An der diesjährigen Vertriebsleitertagung Energie vom 3. und 4. September war auch die Strommarktöffnung ein Thema. Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion zeigten sich jedoch skeptisch, dass der Schweizer Strommarkt schon bald liberalisiert wird.

"Die Hoffnung stirbt zuletzt", sagte Hans-Jörg Aebli, Leiter Produkte und Dienstleistungen bei EKZ, in seinem Anfangsvotum und lächelte. Die Hoffnung ist zwar auch bei Jan Flückiger, Leiter Public Affairs und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Swisspower AG, noch da, aber in gedämpfter Form. "Wir brauchen eine Vorlaufzeit für die Marktöffnung", sagte er. "Aber da wäre ja auch noch die Frage des Strommarktdesigns." Diese sei noch nicht geklärt. Unklar sei auch, wie man es schaffe, Investoren für die Erneuerbaren zu finden.

Bernhard Signer, Leiter Vertrieb bei der Repower AG, bemängelte, dass die Liberalisierung immer wieder hinausgezögert worden sei. "Man sagt, die Marktöffnung komme jetzt plus in drei Jahren", sagte er. "Aber diese Formel gilt seit 2004." Auf die Frage, ob der Föderalismus möglicherweise zur Verzögerung beigetragen habe, antworte Signer mit einem klaren Ja.  Das sieht auch Flückiger so. "Es gibt Hunderte Verteilnetzbetreiber in der Schweiz, und alle haben einen gewissen Einfluss", sagte er. "Wenn der Lokalfürst sagt, Liberalisierung sei schlecht, hören viele auf ihn." Flückiger stellte auch eine gewisse Müdigkeit in der Branche fest: "Viele sind des Themas überdrüssig geworden."
 
Versorgungssicherheit versus Liberalisierung

Dass es nicht vorwärts geht, hat für die Podiumsgäste aber auch noch andere Gründe. Die Marktöffnung bringe bedeutende Herausforderungen bezüglich des Netzes mit sich, sagte Aebli. Da wäre einerseits der Mangel an Fachleuten wie Elektrotechnikern, andererseits aber auch die Frage nach der Versorgungssicherheit. "Wir machen uns wegen der Marktöffnung Sorgen, weil da viele Fallstricke drin sind, die auf den Ruf der Werke Einfluss haben könnten", so Aebli. Die Politik befinde sich in einer Zwickmühle: Versorgungssicherheit versus Liberalisierung. Auch Flückiger sieht einen Zielkonflikt zwischen der Versorgungssicherheit, den energiepolitischen und den wirtschaftlichen Zielen.

"Es ist für die Politik schwierig, mit der Erwartungshaltung der Menschen umzugehen", sagte er. Erschwerend komme hinzu, dass die nationale Politik Ziele gesetzt habe, diese aber von den Kantonen und den Städten umgesetzt würden. Und Signer stellte fest, dass beim Thema Liberalisierung eine gewisse Zurückhaltung zu spüren sei. Signer fragte zudem, warum man eigentlich nicht die Bevölkerung über eine Liberalisierung abstimmen liess. Flückiger stellte dieselbe Frage und mutmasste, der Bundesrat habe Angst vor einer solchen Abstimmung.


Zum Schluss wurden die Diskussionsteilnehmer noch gefragt, was denn zuerst umgesetzt würde: die Marktöffnung für Strom oder von Gas? Und da gingen die Meinungen deutlich auseinander. "Keines von beiden", sagte Aebli. Flückiger glaubt wiederum, die Teilmarktöffnung beim Gas komme zuerst. Und Signer erwiderte: "Ich glaube, beides zusammen."


(Michel Sutter, Redakteur, energate)